Brandstifter Drucken

mit freundlicher Genehmingung von PM Perspektive

Süchtig nach dem Tanz der Flammen

16.04.18brandstiftungen halle2

Warum  legen Menschen heimlich Feuer – und was geht dabei in ihnen vor?

Die Mitteilung war auf eine Papierserviette gekritzelt: “ Ich bin eine Brandstifterin und kann es nicht lassen. Heute Nacht gibt es den zweiten Großbrand.“ Reisende fanden die Nachricht im Mai 1994 in einem Schweizer Eisenbahnwagen und riefen den Schaffner, der die Polizei alarmierte. Die sofort eingeleitete Fahndung führte zum Erfolg. Eine 19-jährige Frau wurde in Luzern auf frischer Tat ertappt, der Brand gerade noch verhindert. In ihrer Wohnung fanden Beamte einen Ordner, in dem die Frau alle Presseberichte über ihre früheren Brandstiftungen säuberlich abgeheftet hatte.

Was sind das für Menschen, die, meist in der Dunkelheit, mit Benzin oder selbstgebastelten Brandsätzen heimlich Feuer legen? Kriminalisten unterscheiden zwei Tätertypen: Der “funktionsorientierte“ Täter will mit einem Feuer Schaden anrichten. Er begeht eine “vorsätzlich-zweckgerichtete“ Brandstiftung, um eine Versicherung zu betrügen oder ein Asylbewerberheim zu zerstören. Nach dem Anschlag flieht der Täter, um nicht entdeckt zu werden. Der zweite Typ handelt aus “triebhafter, irrationaler Bedürfnisbefriedigung“. Er ist feuersüchtig und bleibt      oft am Tatort. Ihm geht es primär um das Flammen-Spektakel; er ist “werkorientiert“ und schaut auch bei Feuern zu, die er nicht gelegt hat. Die einen “wollen“ zündeln (Typ 1), die anderen “müssen“ es (Typ 2).

Und auf manche Täter trifft sogar beides zu. Zum Beispiel auf den rechtsradikalen Brandstifter Joachim H., der gezielt gegen Ausländer Brände legte und vor Gericht gestand: “ Es ist wie eine Sucht. Das wäre immer weitergegangen.“ In allen Fällen liefert die Wissenschaft aufschlussreiche Erklärungen über die Motive. So hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass die weitaus häufigste Ursache für funktionsorientierte Brandstiftungen ( Typ 1 ) Probleme im privaten, zwischenmenschlichen Bereich sind. “ Beziehungstaten aus Rachsucht, Neid, Enttäuschung und Eifersucht stehen ganz oben auf unserer Motivliste“, versichert Kommissar Peter Fruth von der Münchner Kriminalpolizei. Typisches Beispiel: Einem Fluglotsen aus Frankfurt hatte ein Rivale seine Freundin ausgespannt. In ihrer Tasche fand der Mann den Schlüssel zur Wohnung seines Gegenspielers. Während dieser schlief, schloss er die Tür auf, verschüttete Spiritus und warf eine glühende Zigarettenkippe auf den Teppich im Schlafzimmer. Das Opfer konnte sich gerade noch retten. Rache war auch das Motiv einer 29-jährigen Frau, die im Mai 1998 leere Bierflaschen mit Benzin füllte, Stoff darumwickelte und mit den selbstgebastelten Brandsätzen das Haus ihrer schlafenden Eltern in Ludwigsburg anzündete. Vor Gericht sagte sie aus, sie habe ihnen “ so großes Herzklopfen einjagen“ wollen, wie sie es als Kind hatte. Die Frau war als kleines Mädchen von ihrem älteren Bruder mehrfach missbraucht worden, ohne dass die Eltern eingegriffen hatten. Feuer sei in einem solchen Fall vergleichbar mit einem Messer oder einer Pistole, meint der Münchner Psychologe Georg  Sieber, der die Ermittlungsbehörden seit über 30 Jahren bei ihrer Aufklärungsarbeit unterstützt.

Der “funktionsorientierte“ Brandstifter vom Typ 1 handelt aggressiv, er will seine Wut, seine Enttäuschung abreagieren. Der feuersüchtige Brandstifter (Typ 2) dagegen handelt quasi absichtslos. Er erfreut sich, so die Experten am Feuer wie an einem Kunstwerk. Ihn treibt ein unbestimmtes Lustgefühl. Es geht ihm um die Feuersbrunst, das Knistern, Züngeln, Peitschen der Flammen. Georg Sieber: “ Man würde ihn aus dem Verkehr ziehen, wenn man ihm einen Kamin schenkt.“ Weil das Hochgefühl mit der letzten Glut verlöscht, werden solche Menschen oft zu Serientätern Immer wieder legen sie in ihrem nahen Umfeld neue Brände. Die Erfahrung der Kriminalisten: Meist halten sich solche Täter in der Nähe des Brandortes auf und sehen sich ihr “Werk“ an. “Um den Täter zu erwischen, sollte man am besten Fotos von den Umstehenden machen. In 50 Prozent aller Fälle gucken die Brandstifter zu oder helfen beim Löschen", weiß Georg Sieber. " “Einige von ihnen hören den Polizeifunk ab und fahren an die Brandorte, um fremden Feuern zuzuschauen." Zur konkreten Zielfahndung inszenierte Sieber vor Jahren mehrere Frühlingsfeuer und machte dabei Filmaufnahmen. Mit Erfolg: Das Gesicht einer Person tauchte auf den Filmen von allen Feuerstellen auf – es war der gesuchte Brandstifter. Ein Mann übrigens, wie etwa drei Viertel der Täter. Ihren Zündel- Trieb können sich die meisten nicht erklären.“ Ich kam mir vor wie ein Spielzeug, das willenlos Brände legen muss“, sagte die anfangs erwähnte Brandstifterin von Luzern beim Polizeiverhör. Der 20-jährige Jörg T., dem in Norddeutschland eine Serie von Großbränden zur Last gelegt wurde, erklärte vor dem Haftrichter: “Es ist immer wieder ü ber mich gekommen. Ich konnte nichts dagegen tun. “ Im Gefängnis München-Stadelheim sitzt ein Mann, der seit dreißig Jahren zwanghaft Feuer legt. Kommissar Fruth: “Er nimmt alles, was brennt. Spielzeug, Regale in Supermärkten, Container. Nichts ist vor ihm sicher. Der braucht das. Aber warum? Eine These der Psychologen lautet: Indem ein Brandstifter draußen etwas zerstört, weist er auf seine innere Zerstörung hin. “ Viele haben Angst vor sich selbst“, glaubt Kommissar  Peter Fruth. Als “Cry for help“ (Schrei nach Hilfe) bezeichnen die beiden amerikanischen Wissenschaftler Wayne S. Wooden und Martha Lou Berkey das Zündel-Syndrom. In einer Studie über jugendliche Brandstifter fanden sie heraus: Der Zündel-Trieb ist Teil einer komplexen Persönlichkeitsstörung. Er steht in Zusammenhang mit Lernschwierigkeiten, zerrütteten Familienverhältnissen, der Affinität zum Klauen. Durch Feuerlegen, so die Experten wollen diese Kinder auf sich aufmerksam machen. “Jugendliche Serien-Brandstifter sind oft gehemmt, minderbegabt und sozial isoliert“, stellt der Tübinger Gerichtspsychiater Prof. Klaus Foerster fest. “ Bemerkenswerte soziale Auffälligkeiten“ fanden auch Wissenschaftler der Erlanger Universitätsklinik, die vor einigen Jahren 40 Brandstifter untersuchten; 22 Prozent hatten  frühkindliche Hirnschäden erlitten, 53 Prozent einen Selbstmordversuch hinter sich, und 30 Prozent waren Alkoholiker. Fast die Hälfte der Täter musste den Vater innerhalb der ersten sechs Lebensjahre ganz oder teilweise entbehren.

Die Erlanger Wissenschaftler stellten weiter fest: Pyromanen sind kaum in der Lage, Krisensituationen angemessen zu lösen. Auch “mangelnde Einsichtsfähigkeit“ sei bei den meisten ein Merkmal. Kommissar Fruth formuliert es direkter: “ Die Mehrheit der Brandstifter ist nicht besonders intelligent. Die meisten bewegen sich im unteren sozialen Niveau." Dem widerspricht aber Psychologe Georg Sieber: "“Die Polizei hält Brandstifter zwar für doof, aber der Intelligenzquotient hat nichts mit Feuersucht zu tun. Ich kenne auch zündelnde Akademiker.“ Gerichtspsychiatrische Studien beschreiben Serienzündler als nach außen höflich, eher schüchtern und überangepasst. Dahinter verbergen sich meist “zwanghaft handelnde Persönlichkeiten mit gehemmter Aggressivität“. Um die Hintergründe der Feuersucht zu durchleuchten, hat auch die Tiefenpsychologie interessante Motive herausgefunden.

  1. Der Reiz des Verbotenen: Der Wunsch, Grenzen zu sprengen und dabei sprichwörtlich mit dem Feuer zu spielen, gilt als eine Triebfeder der Pyromanie. Während sich die meisten Menschen als Erwachsene sozialen Normen unterordnen und Verbote einhalten, neigen labile Persönlichkeiten dazu, kindliche Wünsche auszuleben und Gesetze zu übertreten.
  1. Der Griff zur Macht: Mit geringstem Aufwand, dem Entzünden eines Streichholzes, größte Wirkung zu erzielen – der Gedanke ist verführerisch. Vor allem für Menschen, die unter extremen Minderwertigkeitskomplexen leiden. Der Brandstifter erlebt ein Gefühl von eigener Größe, sobald sich die kleine Flamme, die er entfacht hat, in ein eindrucksvolles Feuer verwandelt, das andere gefährdet. Der Täter genießt sein Werk als Inszenierung der eigenen Bedeutsamkeit.
  1. Hunger nach dem Kick: In einer Zeit, die keine echten Gefahren mehr bietet, suchen vor allem Jugendliche die reale Sensation. Sie zündeln, um der Isolation und Langeweile zu entfliehen. Sirenengeheul, helle Flammen am Nachthimmel: Der Nervenkitzel übertüncht die innere Leere.
  1. Sexuelle Frustration: Laut Sigmund Freud, dem Begründer der Tiefenpsychologie, besitzt das Feuer eine sexuelle Symbolik. Das Gezüngel der Flammen sei ein deutliches Phallussymbol, das Erregung verursache. Tatsächlich beschrieb der Brandstifter Andreas H. “ Gefühle wie beim Sex“, die ihn angesichts der Flammen überkamen. Diese Aussage ist für den Münchner Kriminalhauptkommissar Peter Mayer “ nicht ungewöhnlich“. Seine Erfahrung ist: “Brandstifter treten auch als Sexualtäter auf. Da besteht eine deutliche Affinität.“ Sein Kollege Peter Fruth weiß von einigen Tätern, die beim Anblick eines Feuers masturbierten. “Das sind Einzelgänger, ohne Partner, viele leiden an Vereinsamung.“

Psychologe Georg Sieber dagegen hält solche Zusammenhänge lediglich für polizeiliches “Seminargeschwätz“. Er kontert: “Ich kenne nicht einen Fall.“ Unbestritten ist dagegen, dass Brandstiftung der Ausdruck eines schweren seelischen Schadens ist. Dazu passt, dass fast jeder zweite Serienzündler in psychiatrische Behandlung kommt. Ein Delikt also, mit dem der Normalbürger nichts zu tun hat. Oder manchmal doch?

Beunruhigend ist, was der Schweizer Schriftsteller Max Frisch in seinem 1958 entstandenen Theaterstück “Biedermann und die Brandstifter “ auf die Bühne gebracht hat: die Komplizenschaft zwischen bravem Bürger und Verbrecher. Gottlieb Biedermann schließt Freundschaft mit zwei Brandstiftern, aus Angst, ihr Opfer zu werden. Nur ein Theaterstück – aber offenbar kein wirklichkeitsfernes, wie das Beispiel des Dorfes Dolgenbrodt zeigt, 40 Kilometer südlich von Berlin. Dort ging 1992 ein bezugsfertiges Asylbewerberheim in Flammen auf. Einer der Täter war der Blumenhändler Thomas O., ein Rechtsradikaler. Damit schien das Motiv der Tat klar zu sein. Doch vor Gericht kam heraus, dass es Bürger des Dorfes waren, die den Brandstifter angeheuert  und anschließend bezahlt hatten. Die Leute im Ort hätten ihn immer wieder bedrängt, gab der Angeklagte vor Gericht zu Protokoll. Da habe er keinen Ausweg mehr gewusst.   Friederike Bayer

Historische Brandstiftungen:

 Feuer als Mittel der Politik

Im Jahr 356 v. Chr.ging im antiken Griechenland der riesige Artemis-Tempel in Ephesos in Flammen auf. Motiv: Geltungssucht. Ein Mann gestand, den Brand gelegt zu haben, um sich unsterblich zu machen. Der Historiker Theopompos behauptete wenig später, der Name des Mannes sei Herostratos gewesen. Er wurde berühmt als der erste Pyromane der Welt.

Im Jahr 64 n. Chr. brannte Rom. Verantwortlich dafür wurde der damalige Kaiser Nero gemacht. In seinem Auftrag soll das Großfeuer gelegt worden sein. Am Brandtag hielt sich Nero nach Berichten des Geschichtsschreibers Tacitus in der römischen Villenvorstadt Antius auf. Von dort aus beobachtete er die brennende Stadt. Nero lenkte den Verdacht der Brandstiftung auf die Christen, die er von da an noch grausamer verfolgte.

Am 27.Februar 1933 stand in Berlin das Reichstagsgebäude in Flammen. Hitler schrieb die Zerstörung den Kommunisten zu. Ihr folgte eine Notverordnung des Reichspräsidenten, die zur “Abwehr kommunistischer Gewalttaten“ die wichtigsten Grundrechte außer Kraft setzte. Vor Gericht wurde der niederländische Kommunist van der Lubbe zum Tode verurteilt, zwei Mitangeklagte wurden freigesprochen. Lubbes Alleintäterschaft wird seither bezweifelt. Die Gegenthese, dass der Reichtagsbrand von einer Terrorgruppe der NSDAP verübt worden sei, ist ebenfalls umstritten. Die Tatumstände wurden nie restlos geklärt

1458 Ermittlungen zum Verdacht auf Brandstiftungen von 2010-2015 in Halle (Saale)  Quelle: Stadt Halle(Saale)

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